Liebe LeserInnen,
am Sonntag bin ich wieder in Flensburg gelandet - mit dem Zug.
Am schönsten war es, wieder das kochen zu können, was ich wollte, zu einem Zeitpunkt, zu dem ich Essen möchte, mit Nahrungsmitteln (Bio), die ich gerne essen wollte.
Ganz toll auch die erste Fahrradtour, ein bischen Sport am Montag-Abend.
Heute werde ich vermutlich gleich noch in die Sauna gehen - Genuß. Auch für das Gesundschwitzen; habe immer noch einen kleinen trockenen Husten.
Muff
Beim Abschied von Freunden in Ratzeburg, hab ich mal so nachgefragt, ob ich irgendwie rieche. Ich hatte es schon verschiedene Gastgeber gefragt, die aber alle verneinten. Hier traute sich also die feine Nase namens Nicole, erst zaghaft, dann bestimmt und entschieden zu nicken. Gemeinsames erforschen der Geruchsquelle. Also ich muffle. Ich stinke.
Puh, das mußte ich erst mal verkraften. Eine genaue Analyse im Laufe des Tages erfogte, und ich stellte erst mal 2 Hauptstinker fest, eines war ein Rolli, den ich vor ein paar Tagen in vermutlich einem muffeligen Bett anhatte, die andere Muffquelle zu meiner großen Überraschung ein Baumwolltäschchen für mein Handy - entsetzlicher Gestank. Dann die verschiedenen Kopfbedeckungen hatten den Geruch meines Kopfes angenommen. Äääähhhhh. Ja, richtiger Muff.
Nach meiner Rückkehr habe ich auch meinen Rucksack gewaschen, den hatte ich glaube ich noch nie gewaschen. Der hatte natürlich auch so seine Gerüche angenommen, allerdings noch eher dezent. In Zukunft werde ich noch mehr auf die rechtzeitige Reinigung aller möglichen Geruchsquellen achten. Für mich ist es ziemlich schrecklich, wenn mich jemand darauf hinweisen (muß), dass ich müffle.
Achtsames Essen mit Johannes
Johannes in Lübeck hatte ich schon vor dieser Etappe ein kleines Büchlein von Thich Nhat Hanh mit dem Titel "Frei sein, wo immer Du bist" geschenkt. Es ist die Wiedergabe einer Rede, die Thich Nhat Hanh in einem Gefängnis gehalten hat. Es gibt viele Anregungungen, viele Achtsamkeitsübungen werden dabei angesprochen. Auch das achtsame Essen.
Das achtsame Essen ist für mich eine große Herausforderung. Einmal, weil ich "gerne" zu viel esse. Dann habe ich festgestellt, daß ich, selbst wenn ich alleine in der Natur bin, so oft von der Achtsamkeit abgelenkt bin. Gerade draussen, dort dachte ich, ist es vielleicht am einfachsten, achtsam zu essen. Einmal bin ich abgelenkt von den Ereignissen des Tages oder vorangegangenen Nacht, von weiteren Pläne, schaue eben doch noch mal auf die Karte..... Dann lenke ich mich auch gerne ab, durch Tagträume. Weiter durch Insekten, Spinnenweben, die Sonne, der Wind und die Wunderschönheiten der Natur. Gerade draussen, wo so viel zu beobachten ist, bin ich so schnell abgelenkt. Bin bei den im Wind wehenden Bäumen, bei irgendwelchen Vögeln..... irgendetwas ist immer so beobachten, lenkt meine Konzentration vom Essen ab.
Am ersten Abend in Lübeck (habe 3 Nächte in Lübeck bei Johannes und Erin verbracht, bin mit dem Bus zu den jeweiligen Stellen gefahren, wo ich vortags aufgehört hatte zu laufen) saß ich schon am Tisch, als Johannes von hinten um den Tisch herum lief, um sich auch hinzusetzen, um mit mir zu essen. Schon in dem Moment, da er um den Tisch lief, war ich schon ganz gerührt, wußte gar nicht warum. Schliesslich saßen wir beide uns gegenüber und aßen schweigend achtsam unseren vorher gekochten Reis und Gemüse. Die ganze Zeit war da so viel Sein, Achtsamkeit, Hier und Jetzt, Genuß, Würde, das meine Augen während es gesamten Essens nicht mehr trocken wurde. Welch ein Geschenk des im Moment seins. Danke auch Dir, Johannes.
Letzte Nacht in Dassow - mein Bethlehem-Erlebnis
Der Kolonneweg war teils von Lübeck-Schlutup bis Dassow nicht zu begehen, zugewuchert. Ein Hagelschauer hielt mich gegen 17 Uhr an einer Bushaltestelle fest. Dann eine herrliche Alleestraße (abgesehen davon, daß da wieder mal für Fußgänger eigentlich kein Platz war) bis fast nach Dassow rein. Linden und Kastanien säumten die Straße. Viele von den großen Bäume waren so gewachsen, daß sie auf der Höhe der ersten Gabelungen der Äste so eine Art Kuhlen, Nester, fast Gefäße gebildet hatten. Darin hatte sich teils kleines heruntergefallenes Geäst, Laub oder ähnliches gesammelt. Ich fühlte mich sehr eingeladen, meine Steine, die ich auf dem Weg in Polen oder an der ex-Grenze gefunden hatte, dort hineinzuwerfen, sozugagen als kleine Opfergabe, Gruß, Dankeschön..... Manche der Bäume hatte an abgesägten großen Ästen ebenfalls so eine Art Opferstellen gebildet. Also auch hier kleine Dankeschöne und Mitbringsel.
Schon vor Dassow hatte ich mir überlegt, daß ich die letzte Nacht ggf. auch in einer kleinen Pension verbringen könnte. Andererseits, seit ich aus Polen zurück war, hatte ich nur private Quartiere, wurde immer eingeladen - warum also diese Serie nicht vollenden. Naja, angekommen in Dassow, die Ostsee ist unweit, kam mir gleich ein Schild entgegen - Zimmer zu vermieten!!! Gefragt, belegt, eine Hochzeit in Dassow am Wochenende mit 300 Gästen, da ist nix mehr zu kriegen. Aber vielleicht noch nebendran, an der nächsten Stelle mit "Schild", wird mir empfohlen, vielleicht hat ja jemand abgesagt. Aber auch dort alles belegt. Die Vermieterin sagt noch: "Wäre die Hochzeit nicht, dann könnten Sie unter vielen Zimmer wählen. (Und hinzu macht sie ein ostdeutsches Gestöhne) Früher waren wir ja immer ausgebucht, aber seit an der Küste direkt so viel gebaut wurde, vergisst man uns immer mehr" Ich denke nur so bei mir, ja vielleicht ein bisschen mehr anstrengen, was in den Ort investieren, die Gegend hat jede Menge zu bieten und gepaart mit Freundlichkeit sollte sich doch "Kundenbindung" leicht herstellen lassen.
Naja, vielen Dank liebe geistige Führung für die Hilfe, dass es offensichtlich ist, mir ein privates Quartier zu suchen.
Abweisungen Allerorten.
Einmal frage ich anerkennend den etwas älteren Herrn, der mir die Tür öffnet, mich auch nicht aufnehmen will. Sagen Sie mal, haben Sie all diese tollen Rosen hier gepflanzt? (Ein Meer von tollen Rosen schmückt den Vorgarten). Die Antwort ist überraschend meines Lobes abweisend und sehr harsch: "Sowas machen Frauen"!!! Aha, denke ich bei mir.
Ein anderes Mal kommt ein Ehepaar (ca. 60 Jahre alt) vor ihr ehemals Scheunentor. Stellen sich demonstrativ mit verschränkten Armen und etwas arrogant mir gegenüber hin. "Ah, zum Priwall wolle ich morgen, das wäre doch kein Problem für jetzt, das ist ja nicht weit, da können Sie doch heute noch hingehen" Toller Tip denke ich bei mir. Noch eine Empfehlung, nach meiner Nachfrage, ob es hier im Ort vielleicht offene, alternative, unängstliche, nette Leute gibt, die mich vielleicht aufnehmen würden. "Gehen Sie doch ins Schloß, die Suite ist fast immer frei, kostet etwa 300 Euro"
Nach vielen Nachfragen, überall ist kein Platz für mich. Teils recht ruppige Abfuhr, teils nette Ablehnung bekomme ich. Gut das ich es inzwischen meist hingekriegt habe, bei einem Schwall von Negativität, die mir entgegenschwappt, die zwar zu fühlen, auch unangenehm zu fühlen, allerdings dieses Gefühl nach recht kurzer Verweildauer auf der anderen Seite meines Körpers wieder hinausfährt.
Etliche Klingelversuche sind durch die Abwesenheit der Bewohner ebenfalls ohne Erfolg. Natürlich hab ich es auch bei der Pfarrerin versucht, aber auch nicht da.
Schliesslich nehme ich die Schloßempfehlung ernst, frage dort, ob ich als Friedensilger dort eine Nacht kostenlos verbringen könnte (wäre ja auch passend gewesen, so ein Suite zum Abschluß, oder?), aber auch hier njet!!
Ein Nachbar, der mit den Pferden, wäre doch evtl. eine Nachfrage wert, bekomme ich als Tip. Und tatsächlich, an der Tür erscheint ein ziemlich großer Herr, der dann auch sofort sagt "Ich kann doch einen Mann nicht so in der Kälte stehen lassen, kommen sie herein". Inzwischen ist es schon etwa 21 Uhr. Es folgt ein Stunde mit interessantem Gesprächsstoff. Reinhard hat mal für die OSZE gearbeitet, war bei einer Friedensaktion in Tatschikistan mit dabei, ist studierter Islamkundiger.
Schliesslich fällt ihm ein, dass seine Frau später nach Hause kommt, sie evtl. gar nicht so einverstanden sein könnte, daß ein fremder Mann im Haus schläft. Uppps!!!!
Er erläutert, daß sie letzte Woche auch draußen geschlafen hätten, als sie Gäste hatten..... (da war es auch warm, jetzt ist es kalt, die Schafskälte - und ich bin leicht hüstelich....)
So sagt er noch, als er mir die Schlafstätte vorstellen möchte und wir das Haus zur Terassentür wieder verlassen: "Vorne kommt man rein, hinten ist man ganz schnell wieder draussen"
Wir gehen über das tolle Grundstück und landen bei einem ehemaligen kleinen DDR-Beton-Stall, eine Seite ist ohne Mauer. Auf dem staubigen Betonboden steht eine einsame Kurz-Liege und erzählt mit noch eine Story von dem Erfinder, Herrn Kurz, der nämlich quasi durch seine Liege umgekommen ist. Die Liege ist bei falscher Gewichtsverlagerung kippelig und Herr Kurz sei dabei von ihr heruntergerutscht. Dummerweise stand die gerade von ihm benutzte Liege auf einem Schiff und so ist er gleich durch die Reling hindurch ins Meer gestürzt und ertrunken.
Ich bin erstaunt, daß ich nun draußen schlafen soll, wo ich doch mit dem Spruch empfangen wurde "Ich kann doch einen Mann nicht draußen in der Kälte stehen lassen". Ich kriege noch eine Unterlage, einen Schlafsack und eine Decke, einen Hinweis, wo die Außentoilette ist.... und werde der Nacht überlassen. Wegen meiner Hüstelei habe ich arge Bedenken, ob es mir den Rest gibt und aus der Erfahrung, dass Schlafsäcke ofmals nicht das einhalten was sie versprechen. Und dieser ist sehr dünn.
Naja, zur Not kann ich ja so gegen Dämmerung weitergehen, denke ich bei mir.
Erinnere mich an die Story von Bethlehem, muß aber glücklicherweise hier kein Kind zur Welt bringen.
Ziehe alles an, was ich habe, der Schlafsack und die Decke wärmt tatsächlich und ich schlafe schliesslich ein. Meine Uhr ist mal wieder stehengeblieben - ob die das immer macht, wenn es eine gewisse Temperatur unterschreitet - und so kommt die Frau des Hauses am nächsten Morgen schauen, ob ich überhaupt noch da bin. Sie hat auch die Assoziation mit Bethlehem und gibt sie gleich bei der Begrüßung zum Besten. Ich soll zum Frühstück reinkommen.
Das Gespräch während des Frühstücks ist wieder sehr interessant.
Stall und Suite liegen dicht beieinander, in diesem Fall nur ein Haus weiter.
Der letzte Tag an der ehemaligen Grenze
Ein Stück kann ich, wie am Vortag, auf dem begehbaren ehemaligen Grenzstreifen gehen. Dann Elektrozaun und Wiese. Ich gehe weiter. Auf der Wiese sind etliche Kühe, mindestens ein Jahr oder zwei alt, sie geben aber noch keine Milch.
Die Neugierigen kommen zu mir. Ich lasse sie ein wenig mit ihrer rauhen Zunge lecken. Dann singe ich ein Lied für sie. Eine Weile ist es interessant für sie, dann setzt die Langeweile ein, das Gras lockt mehr. Ich singe noch eine Weile weiter und gehe dann weiter.
Ein Fuchs kreuzt meinen Weg.
Eine weitere Wiese, dieses mal mit gehörnten Kühen. Da mach ich lieber einen kleinen Bogen. Das Gras steht teils sehr koch, viele Sträucher. Ein Bauer ist mit seinem schweren Gerät auf dem ehemaligen Todesstreifen damit beschäftigt, dem Gestrüpp Einhalt zu gebieten. Muß das im Juni sein, wenn all die Vögel brüten?, denke ich so bei mir. Und dazu noch in einem Naturschutzgebiet?
Plötzlich ein gemähter Weg von einem Dorf zum Dassower See. Hier raste ich, schreibe weiter an meinen Aufzeichnung für das Buch, Esse und schlafe.
Schliesslich erreichte ich das Meer, die Ostsee, an der Stelle, wo einst der eiserne Vorhang "im Wasser hing" :-)
Abschlußritual mit Niederwerfungen, Dank, Gebet und Meditation am windigen Strand.
Ein bisschen durchgefroren die letzten Kilometer zur Fähre.
Die Etappe ist beendet.
Und es ist gleichzeitig eine Art Zäsur.
1) Die ehemalige DDR ist umrundet
2) Die ehemalige Grenze ist abgelaufen
3) Es ist ungefähr die Hälfte der gesamten Projektstrecke.
4) Es ist im Prinzip genug Stoff für ein eigenes Buch.
Aufzeichungen habe ich auf jeden Fall mehr als genug.
Und ich habe ein Gefühl, von wirklich etwas vollbracht zu haben, einen Weg gegangen zu sein, 3.776 km.
HERZgrüße
Thomas
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